Rollenverhalten

Von edith-aleit

November 6, 2020

Befreiung, Rollenverhalten

Vater  Mutter  Kind

Es gab kürzlich ein Telefonat, in dem es um Erfahrungen mit klassischem Rollenverhalten ging:


Tom sprach davon, daß er, als er Vater wurde, noch gar nicht in der Lage gewesen wäre, die überlieferte und gedachte Vater-Rolle auszufüllen; er sei viel lieber unterwegs gewesen und in seinen Lebensplänen vollkommen nach außen orientiert; für seine Vorstellungen von einer Vaterfigur gab es nur wenig Raum. Leider war niemand da, der ihm gesagt hätte: du mußt nicht in die "Vater-Rolle schlüpfen", du kannst hineinwachsen in diese Aufgabe und sie mit der dir eigenen Art meistern, und wenn du willst, stehe ich dir dabei zur Seite.


Beim Zuhören tauchte eine alte Erinnerung auf: sie wollte als junge Frau und Mutter alles ganz richtig machen und glaubte sich mit Anfang zwanzig gut vorbereitet für den Familienbetrieb. Als sich ungewöhnlich schnell das nächste Kind einstellte, das ihnen als sog. Schreikind viel Zeit und Geduld abforderte, wurde schnell deutlich, daß dies ein Irrtum war. (Damals war es für sie noch ein echtes Problem, wenn sich Besuch angesagt hatte und sie mit ihren Vorbereitungen noch nicht fertig war, wenn der Kuchen nicht gelang, das Essen nicht richtig schmeckte oder anderes, das nicht optimal = perfekt war…) Die äußeren Umstände waren schwierig und belasteten zusätzlich.

Heute weiß sie, daß sie mit all den Anforderungen überfordert war. Sie hatte zeitweise das fast physische Empfinden, ihre Mutter/ Schwiegermutter/ Großmutter/oder andere Frauen-Figuren säßen ihr im Nacken oder auf der Schulter und forderten bestimmte Verhaltensweisen von ihr oder kritisierten sie.

Das war alls andere als hilfreich, im Gegenteil: es verschärfte ihre Situation, und es fiel ihr außerordentlich schwer, sich davon zu lösen. -

Auch sie hatte niemanden, der ihr versichert hätte: Dies und jenes ist nicht so problematisch, wie du es im Augenblick empfindest. Du wächst dahinein. Und wenn du möchtest, so helfe ich dir. -

Sie erlebte eher Unverständnis.


Tom bezeichnete diese Stimmen prompt als Ausdruck des mütterlichen Archetyps, der Mutter-Rolle, die traditionell tief in uns verwurzelt ist. Sie beeinflußt und lenkt uns so lange, bis wir lernen, uns von ihr zu lösen, bis wir selbständig werden und auf eigenen Füßen und Grundsätzen zu stehen vermögen. - 

Das bedeutet nicht, daß wir alles über den Haufen werfen müssen! Es bedeutet, daß wir uns dieses Rollenverhalten bewußt machen, um nicht Spielball zu werden und um lernen zu können, gedanklich aus solchen Situationen herauszutreten, damit wir die Sachlage anschauen, bedenken und einzuschätzen vermögen, um dann in Ruhe und in unserer Mitte bleibend die jeweilige Situation zu meistern.

Das ist unsere Aufgabe.


Dieses kurze Gespräch arbeitete den Tag über in ihr fort. Sie erinnerte sich, daß sie hätte viel mehr werden sollen als nur "Krankenschwester mit Abitur und Fahrerlaubnis", und daß ihre Eltern und Großeltern so sehr wünschten, sie möge mehr aus sich machen und noch studieren, usw.

Dann gab es Stationen, an denen der gewünschte oder erhoffte Weg blockiert war, gleichsam als sollte dieses und jenes nicht sein. Vielleicht hätte es auch nur mehr Einsatz gefordert? Möglich. -  -  -  In ihr hatte dieses Wollen und Wünschen damals das Empfinden geweckt, nicht gut genug, nicht richtig geworden zu sein, bis es zu ihrer Überzeugung wurde. -

Heute dachte sie daran, wie wichtig ihr das Interesse an Menschen ist, auch den einfachsten; wie gerne sie deren Lebensansichten zuhört und ihre Lebensweise und  Weisheiten zu erkennen übt; wie sehr sie all diese Informationen in sich sammeln möchte, um herauszufinden, wie sich die verschiedenen Menschen mit Worten erreichen lassen, so daß sie einander verstehen können. Wir leben ja schon viel zu lange in einer Zeit, in der Mißverständnisse an der Tagesordnung sind. Es ist als würden wir verschiedene Sprachen sprechen… - und tun dies auch.

Die Erinnerung führte sie zu ihren verstorbenen Eltern und deren Wünsche für sie. Bilder aus ihren gemeinsamen Jahren zogen an ihr vorüber: wie schön wäre es gewesen, hätten sie es vermocht, das letztlich gewonnene Verständnis füreinander schon eher aufzubringen. Sie empfand ihre Nähe und fast physische Gegenwärtigkeit -, und plötzlich blitzte es hell zwischen ihnen auf und eine tiefe Verbundenheit füreinander erfüllte sie mit einem Empfinden innigster Liebe… Es war, als sei urplötzlich ein altes Unverständnis begraben worden - … und ihre Rolle als Tochter, als Kind endgültig beendet.


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