Es geht auch ohne Vorgesetzte

Von edith-aleit

November 7, 2020

eigenständiges Handeln, selbständiges Arbeiten, selbständiges Denken

  1. Oktober 2020

Ende der neunziger Jahre ergab es sich, daß die Leitung und Einsatzleitung einer Sozialstation für Häusliche Pflege & Krankenpflege ausfiel und nur sehr sporadisch durch andere angeschlossene Sozialstationen “vertreten” werden konnte, so daß die Schwestern, Pflegerinnen, die Bürokraft und die Zivildienstleistenden quasi führungslos die vorhandenen Patienten versorgen mußten. Es bestand natürlich Verbindung zum übergeordneten Management, doch die tägliche Routenplanung, alltäglich anfallende Arbeiten zur Sicherung der Patientenversorgung, die Dienstplangestaltung und Telefondienst = all die Arbeiten, für die normalerweise eine Einsatzleitung zuständig ist, mußten von den Mitarbeitern übernommen werden.

In diesem Kollektiv, heute sagt man “Team” dazu, herrschte über etliche Jahre schon ein sehr freundlicher und kollegialer Geist. Sie verstanden einander gut, kannten sich auch privat infolge regelmäßiger Betriebsfeiern, und bildeten eine gute Gemeinschaft. Man kannte seine Aufgaben und auch die der Kollegen; die Schwestern halfen bei Bedarf im Pflegebereich aus oder im Büro, eben dort, wo sie gebraucht wurden; und was sie noch nicht konnte, lernten sie eben.

— Als die Pflegestufen eingeführt wurden, war es zunächst so, daß man je Pflegestufe ausrechnete, wieviel Zeit pro Woche, Tag und Einsatz zur Verfügung stand, und danach mit dem Patienten und seinen Angehörigen die gewünschten und notwendigen Versorgungen absprach: bei ihnen war es so, daß sie soundsoviel Zeit hatten und in diese all das hineinpackten, was der Patient, wie er damals noch genannt werden durfte, gerade brauchte. Dieses System wurde durch den Gesetzgeber mit der Begründung, daß zu viel Mißbrauch getrieben wurde, abgeschafft und durch eines ersetzt, dem die Abrechnung vorgegebener Einzelhandlungen zugrunde lag: ab sofort wurde nach Handgriffen abgerechnet… Diese Handgriffe wurden mit einer vorgegebenen Zeit hinterlegt, die zu der (immer noch herrschenden) Versorgung im Minutentakt führte und über die Jahre (mit der Begründung der steigenden Löhne und Ausgaben) immer weiter gestrafft wurde. Diese veränderten Bedingungen führten verständlicherweise auch in diesem stabilen Kollektiv zu erhöhtem Arbeitsdruck und damit zu Spannungen zwischen den Leitenden (die eigentlich auch nur Ausführende sind und die Anweisungen, die sie “von oben” erhalten, weitergeben müssen) und den Mitarbeitern. Und das störte das eigentlich gute Betriebsklima empfindlich… —

Weil nun die Mitarbeiter dieser Sozialstation diese gute Basis miteinander hatten und sich in den Arbeitsabläufen auskannten, war es möglich, den Ausfall der beiden Leiterinnen im Arbeitsalltag so gut zu kompensieren, daß diese nicht nur nicht vermißt wurden, sondern die Atmosphäre, das Arbeitsklima sich spürbar verbesserte. Jeder hatte seine klare Aufgabe und war sich dieser Aufgabe und seines Könnens bewußt, was das Klima untereinander beflügelte. Die Mitarbeiter waren sich einig, daß sie ohne Leitung besser zusammenarbeiteten.

Irgendwann kam es dazu, daß diese Sozialstation von einer anderen Firma übernommen wurde… Damit war für alle die schöne Zeit vorbei. Und nicht nur das: dadurch, daß sie alle Arbeitsabläufe durch und durch kannten, daß sie wußten, wie sie z.B. ihre Dienstpläne am besten schrieben, dadurch daß sie erlebt hatten, wie es sich anfühlt, selbständig zu arbeiten, gestaltete sich die Übernahme durch den neuen Arbeitgeber als ausgesprochen schwierig und führte letztendlich zu dauerhaften Unstimmigkeiten, in deren Folge viele die Firma verließen. Diejenigen, die blieben, bemühten sich, mit den anderen Gegebenheiten zurecht zu kommen; doch ein gutes Verhältnis ist nie wieder entstanden.

Was will ich damit zum Ausdruck bringen?

Wir Menschen sind sehr wohl in der Lage, selbständig und mit der nötigen Verantwortung viele unserer Arbeitsabläufe zu organisieren und mit den Kollegen einvernehmlich bei guter Arbeitsatmosphäre die jeweiligen Tätigkeiten zu verrichten und Verträge zu erfüllen. Die inzwischen übliche Überwachung ist nicht nur übertrieben und unwürdig, sondern auch krankmachend. Und solche Bedingungen brauchen wir nicht mehr!

Beitragsbild von Gerd Altmann auf Pixabay

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